Berichte einer feministischen Reise

01.12.2018

Unsere Ankunft in Başur:

Wir sind nun angekommen in einer Region, welche viele von uns vor allem aus den Nachrichten oder Berichten kannten. Einem Land, welches seit Jahrzehnten immer wieder von Krieg heimgesucht wurde und immer noch wird. Wir befinden uns im Mittleren Osten; genauer der Autonomen Region Kurdistan, im Staatsgebiet des Iraks.
Wir sind hier als eine feministische Delegation von Frauen* und nicht binären Menschen aus Deutschland. In Südkurdistan ist momentan unser Zwischenstopp. Wir sind hierher gekommen, um die Revolution in Rojava zu sehen, um mehr über die gesellschaftlichen Ideen der Brefreiungsbewegung aus Kurdistan und ihrer Umsetzung zu erfahren. Um die Geschichte und Realitäten der Menschen kennen und verstehen zu lernen. Wir sind auch hier, weil wir uns als Feminist*innen verstehen und uns deshalb in starker Verbindung zu den Frauenstrukturen der Befreiungsbewegung aus Kurdistan sehen. Mit unserer Reise wollen wir an Begegnungen anknüpfen, die die Erarbeitung von gemeinsamen Perspektiven für den Aufbau gesellschaftlicher Alternativen zum Ziel hatten und haben.


Wir wollen Interviews mit unterschiedlichen Frauen* führen. Wir wollen verschiedene Perspektiven, Geschichten und Realitäten von Frauen* kennenlernen, zuhören, gemeinsam diskutieren und aus diesen Erfahrungen lernen. Wir wollen internationalistisch-feministische Verbindungen aufbauen und die hier gesammelten Erfahrungen mit anderen teilen.

Bevor es aber auf nach Rojava gehen kann, müssen wir warten. Wir befinden uns zwischen Hewler (Erbil) und Mosul, eine Stadt die vor kurzer Zeit fast vollständig zerbombt und vom IS bedroht wurde. Südwestlich von Erbil liegt der Shengal, wo vor nicht allzu langer Zeit Jesid*innen vom IS eingekesselt wurden und, außer der YPG/YPJ, niemand zu Hilfe kam. In der Nähe befindet sich Kirkuk, wo am 15ten Oktober 2017 die aus dem Iran finanzierte Hashd al-Shaabi Miliz in Zusammenarbeit mit dem irakischen Militär, tausende Kurd*innen zur Flucht zwangen und seitdem das Gebiet besetzt halten.

Wir nutzen die Wartezeit, um mehr über die Menschen hier, ihre Geschichte und Situation zu erfahren. Darunter ein Besuch des Amna Suraka Museums in Slemani, welches sich mit den sogenannten Anfal-Operationen des Saddam-Regimes auseinandersetzt. Vor kurzem wurde das Museum erweitert und bindet jetzt auch den Kampf gegen den IS in das Gedenken mit ein. All dies wurde im ehemaligen Foltergefängnis aufgebaut. Ein Ort, der uns sehr beeindruckt hat. Der von den Grausamkeiten des Krieges zeugt und mit Hilfe der DDR damals erbaut wurde. Die Gebäude sind übersäht von Einschusslöchern und der Baustil, mit hohen Fenstern, klobigen Betonkonstrukten und abgesetzten Vorstücken ähnelt den Bauten der 70er Jahre in Ostdeutschland.

Gleichzeitig knüpfen wir erste Kontakte mit den lokalen Frauenstrukturen. Dafür treffen wir uns mit Vertreterinnen von Rêxistina Jinên Azadîxwaz ên Kurdistanê (RJAK), der Frauenbewegung von Başur, sowie der diplomatischen Vertretung von Nordsyrien in Başur (TEV-DEM), Kongreya Star (Rojava) und mit Jinen Ciwan (junge Frauen). Wir erfahren von den Kämpfen hier, von den Schwierigkeiten der Selbstorganisierung in Başur und lernen gleichzeitig Frauen kennen, die uns mit ihrer Stärke und Ausdauer beeindrucken, unsere Perspektiven auf eine autonome Organisierung bereichern.

Vor einigen Tagen trafen sich die jungen Frauen aus Başur zu ihrer zweiten Konferenz, an der einige von uns teilnehmen konnten. Dort kamen circa 100 junge Frauen zusammen, die gemeinsam über ihre Situation diskutierten und die Arbeiten der letzten Jahre auswerteten. Zudem wurden zukünftige Aktionen geplant. Zu diesen Besuchen werden wir noch einzelne Berichte schreiben.

Wir warten hier auch grade in einer Situation, in der Teile Rojavas sowie auch Teile Başurs konstant und immer verstärkter von den türkischen Einheiten und ihren Verbündeten angegriffen werden. In Bakur hält der Belagerungszustands durch die Türkei weiterhin an.

Unsere letzten Wochen in Deutschland waren geprägt von Abschied, Vorbereitungen und Ungewissheit über die kommende Zeit. Es ist eine absurde Situation nun so nah an dem faschistischen Krieg zu sein, der uns alle auf unterschiedlichste Art und Weise die letzten Jahre beschäftigt hat und trotzdem nicht zu unseren Freund*innen zu können, weil die türkische Embargopolitik gegen Rojava uns den Weg versperrt. Es ist ungewohnt keinen Einfluss auf gehen und bleiben haben zu können. Dennoch versuchen wir unsere Tage zu strukturieren unserem Stillstand Bewegung zu geben. Scheinbar gehört das Warten zur Revolution eben auch dazu. George Orwell beschreibt seine Zeit im Spanischen Bürgerkrieg, wenngleich seine Situation dort eine gänzlich andere ist als unsere, mit den Worten: „Der Zeitabschnitt, der damals so nutzlos und ereignislos zu sein schien, ist heute von großer Bedeutung für mich. Er unterscheidet sich so sehr von meinem übrigen Leben, dass er schon jetzt im Licht einer zauberhaften Qualität erscheint, die sich normalerweise nur bei Erinnerungen einstellt, die viele Jahre alt sind.“

Unsere Reise sehen wir als einen Teil des Austauschs und der Vertiefung des gemeinsamen internationalistischen und feministischen Kampfes. Wie wollen wir leben? Was bedeutet Freiheit? Wie sieht eine Frauenrevolution aus und was bedeutet das für uns? Alles Fragen, die uns schon sehr lange beschäftigen und die wir mit den Frauen* hier diskutieren wollen.

Dementsprechend hoffen wir, dass unsere Wege bald weitergehen und wir euch an unseren Erfahrungen teilhaben lassen können. Oder um mit den Worten einer Freundin abzuschließen: „Der Frühling ist sehr schön, weil er bunt ist. Überall sind Blumen und Kräuter, Vögel und das Rauschen des Wassers. Alles vermischt sich miteinander. […] Wenn wir ein internationalistisches demokratisch-konföderales System aufbauen, so wird es wie der Frühling sein, nicht wie der Winter oder der Sommer.”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Get 30% off your first purchase

X