Lebende Schutzschilder in Serêkaniyê: Aktion gegen Erdogans Truppen an der türkisch-syrischen Grenze

06.01.2019

Wir fahren nach Serêkaniyê, um uns an der Aktion der lebenden Schutzschilder zu beteiligen, eine Aktion der Bevölkerung gegen die Kriegsdrohungen der Türkei. Serêkaniyê ist neben Minbic und Gire Spî eine der Grenzstädte, an denen der türkische Staat seine Truppen zuzieht. Das umfasst die türkische Armee und von der Türkei ausgebildete djihadistische Milizen, die sich unter Anderem mit von Deutschland produzierten Waffen für einen Angriff bereit machen. Jeden Tag könnten die Angriffe auf die demokratische Selbstverwaltung beginnen, gegebenenfalls auch direkt hier.

Das Stadtbild ist geprägt von den Vorbereitungen auf den Krieg – Tunnel, die zum Schutz gegen Bombardierungen gegraben wurden und riesige Plastikplanen, die über den Straßen aufgehängt wurden, um Drohnen die Sicht zu versperren. Meistens sind Leute auf den Straßen, Kinder rennen herum, viele scheinen zur Aktion der lebenden Schutzschilder hin- und herzulaufen.

Die Aktion befindet sich auf einem Platz, ca. 300 Meter von der Grenzmauer entfernt, in Form eines Camps, einer Art Dauerkundgebung. Seit mittlerweile mehr als zwei Wochen sind die lebenden Schutzschilder hier nun. Bisher ist geplant, das Camp bis zum 15. Januar weiterzuführen und dann weiter zu schauen, ob es verlängert wird.

Die Aktionsform der lebenden Schutzschilder hat zum Ziel, durch die Anwesenheit einer großen Anzahl ziviler Menschen, eine Art menschlichen Schutzwall darzustellen. Das wird so nah an der Grenze mehr als deutlich. Nachdem verschiedene Reden gegen die Angriffe der Türkei gehalten wurden, gehen wir mit einer Masse von Menschen ein Stück auf die Grenzmauer zu. Verschiedene Teile der Bevölkerung, die alle gegen den kommenden Krieg protestieren und laut „Terrorist Erdogan“ rufen. Unser Blick ist auf die Weiten hinter der Mauer gerichtet. Stationierte Panzer sind von hier aus nicht zu sehen, aber die Ernsthaftigkeit der Kriegsdrohungen ist trotzdem deutlich.

Gleichzeitig ist die Aktion auch ein Ort des Zusammenkommens für die Bevölkerung in Serêkaniyê und der gesamten Region. Man ist hier mit der Situation nicht alleine, gibt sich gegenseitig Mut und moralische Unterstützung. Aus vielen Städten der demokratischen Konföderation Nord- und Ostsyrien kommen Gruppen für mehrere Tage, um an der Aktion teilzunehmen. Während unseres Aufenthalts treffen wir Gruppen aus Heseke und Hol. Später kommen auch Menschen aus Tabqa und Qamişlo.

Die Stimmung bei der Aktion ist ausgelassen. Die Musik läuft von morgens bis abends und es wird fast durchgängig getanzt. Zwischendurch werden immer wieder Reden gehalten. Das Leben im Camp wird kommunal organisiert in Zelten, in denen auch übernachtet wird. Heyva Sor (übersetzt: roter Halbmond) ist die ambulante Hilfe der demokratischen Föderation und vor Ort mit einem Krankenwagen da, falls spontan medizinische Hilfe gebraucht wird. Menschen aus Serêkaniyê sorgen für die Essensversorgung von mehreren hundert Menschen. Vieles wird nebenher selbstverständlich gemeinsam organisiert.

Wenn wir nicht draußen bei der Kundgebung sind, verbringen wir die Zeit im ofenbeheizten Zelt der Frauen und unterhalten uns so weit es unsere Sprachkenntnisse zulassen. Viele fragen uns, warum wir da sind, woher wir kommen und was wir hier machen. Sehr viele zeigen uns Fotos von Verwandten die in Deutschland leben. Im Zelt ist gute Stimmung und bis in die Nacht hinein werden Gespräche geführt.

Nach zwei Tagen fahren wir, mit vielen Eindrücken, wenig Schlaf, aber einem guten, starken Gefühl im Gepäck wieder los. Die Aktion wiederum geht weiter und wird hoffentlich noch kraftvoller werden als sie es schon ist.

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