Wasser als Kriegswaffe – Serêkaniyê und die Staudammpolitik der Türkei

17.01.2019

Für die Aktion der lebenden Schutzschilder verbringen wir drei Tage in Serêkaniyê.
Serêkaniyê, wie auch der arabische Name Ras al-Ayn, bedeutet so viel wie „Kopf der Quelle“ und deutet darauf hin, dass diese Stadt quasi auf Wasser gebaut wurde. Mehr als 100 Quellen gibt es in Serêkaniyê und seiner Umgebung. Der Reichtum an unter- und oberirdischen Wasservorkommen haben der Stadt ihren Namen gegeben. Mittlerweile ist von diesem Wasser nicht mehr sehr viel übrig. Viel mehr als die natürlichen Quellen, bestimmt heute die Staudammpolitik der Türkei, wieviel des Wassers hier her fließt.

„In Serêkaniyê sollte man immer schauen, wo man hintritt“, sagt Şîa, ein Freund von der Filmkommune vor Ort, der uns durch die Stadt begleitet. Viele Häuser sind einsturzgefährdet, auch in den Straßen zeichnen sich immer wieder tiefe Risse und Löcher ab. Manche Gebäude sind bereits zur Häfte in 2-3 Meter tiefen Schutthaufen versunken. Es ist eine der sichtbarsten Auswirkungen der türkischen Staudammpolitik, der wir in den Straßen von Serêkaniyê begegnen: Große Teile der Stadt wurden wegen ihres Wasserreichtums einst auf Speicherkammern gebaut. Dass diese jetzt leer sind, bringt verheerende Veränderungen in der Statik von Gebäuden und Infrastruktur der Stadt. Alles, was auf diesen trockengelegten Höhlen steht, droht mittlerweile einzustürzen. „This is Turkey“, kommentiert Şîa das. Als wir einige Zeit vor einem Haus stehen, dass bereits weit in einem dieser Gräben versunken ist, spricht uns eine ältere Frau an. Sie habe lange mit ihrer Familie dort gelebt, erzählt sie. Über mehrere Tage bemerkte sie die Risse in der Wand, die immer größer wurden und habe daraufhin die Stadtverwaltung aufgesucht. Die Familie wurde an einem anderen Ort untergebracht. Noch in der selben Nacht sei das Haus eingestürzt. Nun leben sie ein Stück weiter in der Nachbarschaft.

Die Staudammpolitik der Türkei begleitet uns noch weiter bei unserer Reise. Am nächsten Tag fahren wir zu einer landwirtschaftlichen Kooperative, auf dem Rückweg kommen wir an einer Quelle vorbei. Wir stehen vor einem 15 Meter tiefen Loch, von Wasser ist nichts zu sehen.
„Von hier sind wir immer reingesprungen“, sagt ein Freund, der mit uns gefahren ist und deutet auf einen Baum, der am Rand des riesigen Grabens zur Seite ragte, „Es war bis dort oben hin voll mit Wasser“. Wir können kaum bis zum Grund der Grube schauen. Auch dort findet sich kein Wasser, dafür junge Bäume, weitere Pflanzen und viele Steinbrocken.

Die Straße Richtung Innenstadt, wird von einem ausgetrockneten Flussbett begleitet, dass im mindesten die Breite der Straße selbst hat. Es sind die Rückstände des Khabur-Flusses, der sich vom Euphrat abzweigt und über die syrisch-türkische Grenze bis nach Til Halaf fließt, das etwa 4 km süd-westlich von Serêkaniyê liegt. Seit 2004 ist das Wasser auch hier massiv zurückgegangen, bis der Fluss beinahe vollständig ausgetrocknet ist. Mehr als 80% seines Laufes entspringt in der Türkei, ein großer Teil davon unterirdisch. Die Schließung der Staudämme dort verhindert nun, dass das Wasser die Stadt erreichen kann. Auch für die Strom- und Energiegewinnung der Städte ist diese Politik essenziell. Serêkaniyê ist dafür nur ein Beispiel, ähnlich ist es in Kobanê. Bei der Stadtverwaltung dort erfahren wir, dass es für die Bevölkerung nur zu bestimmten Tageszeiten Strom und Wasser gibt. Diese Unterversorgung ist politisch geschaffen. Ohne ein Anstauen in der Türkei, könne deutlich mehr Energie produziert werden.

Die Kontrolle des Wasservorkommens ist eine entscheidende Waffe im Krieg gegen die Bevölkerung Nordsyriens. Mit der Handhabe der Staudämme erweitert sich die taktischen Möglichkeiten der Türkei, nicht nur was die Wasser- und Stromversorgung angeht. Im Ort Til Naser, auch am Khabur gelegen, erzählt uns ein Bewohner von den Kämpfen gegen Daesh. Die Dschihadisten waren über den trockengelegten Fluss in das Dorf gelagt. Als die Befreiung Til Nasers durch die YPG kurz bevor stand, flutete die Türkei erneut das Flussbett und verhinderte so den Zugang zum Ort, zum deutlichen Vorteil Daeshs. Es ist eine bewehrte Praxis der Aufstandsbekämpfung, die auch in Süd- und Nordkurdistan immer wieder eine wichtige Rolle spielt. Ein bekanntes Beispiel ist Hasankeyf, eine Stadt im Südosten der Türkei, dessen historische Fassaden durch den Ilisu-Staudamm unter Wasser gebracht werden sollen. Seit über zehn Jahren regt sich dagegen der Widerstand.
Es wird deutlich, dass der Krieg gegen diese Region viele Facetten hat. Direkte militärische Angriffe fallen dabei schneller ins Auge, als zum Beispiel der Kontrolle des Wassers, das diesem Land gehört.

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