Die Gesundheitsakademie von Nord- und Ostsyrien

18.01.2019

Ein Bestandteil der Arbeiten in allen Institutionen der demokratischen Konföderation sind die Außenarbeiten. Einerseits vernetzen sie die Projekte der Revolution mit den Bewegungen weltweit, andererseits sorgen sie für den notwendigen Austausch mit Bevölkerungsgruppen vor Ort. Den Blick immer aus den Interna der eigenen Arbeit hinaus zu richten, ist überlebensnotwendig für eine Revolution, die sich selbst als internationalistisch versteht. So ist die diplomatische Arbeit auch Teil von Strukturen, deren Schwerpunkt erst einmal an anderer Stelle zu liegen scheint. Die Gesundheitsakademie Akademiya Tenduristî a Rojava bildet zukünftige Ärzte und Ärztinnen in Qamishlo aus. Gleichzeitig pflegt sie Kontakte zu medizinischen Einrichtungen in Argentinien, Spanien, Deutschland, Kuba und Italien. Für die Ausbildung ermöglicht das eine Ausweitung von Wissen und technischen Möglichkeiten. Gegenseitige Besuche und Online-Konferenzen bedeuten aber auch, die kommunalistische Herangehensweise an Gesundheit ebenso an Mediziner und Medizinerinnen außerhalb zu vermitteln.

Ein Medizinstudium in der Revolution…

Die Gesundheitsakademie in Qamishlo ist noch sehr jung. Erst seit zwei Jahren laufen hier durchgängig die Ausbildungs- und Studienprogramme. Bisher bestätigen die Studierendenzahlen ihre Notwendigkeit. Die Akademie wird gut angenommen, erzählt einer der Vorsitzenden, der seit Beginn an den Aufbauarbeiten hier beteiligt war. Der Alltag der Studierenden ist prall gefüllt. Jeden Tag findet von 8:00 bis 17Uhr Unterricht statt, abends gibt es selbstorganisierte Seminare der Studierenden, dazwischen jeweils zwei Stunden Mittagspause und Abendessen, erzählt uns die Studierendenvertretung Heval Susan. Ein straffes Programm; besonders wenn man sich noch die Zeit für Selbstorganisierung, Besprechungen und Koordinationstreffen hinzudenkt. Da ist es fast überraschend wie ausgelassen die Studierenden in der Mittagspause wirken. Ganz anders als so manche Medizinstudent*innen in Deutschland. Die Seminarpläne verfolgen eine ganzheitliche Herangehensweise an Gesundheit. Sie sollen die Zusammenhänge zwischen Krankheiten und sozialen Problemen, Ökologie und persönlicher Lebensweise aufzeigen. Nichtsdestotrotz kommt auch hier das Studium nicht um das Auswendiglernen anatomischer Begriffe, Prozesse und Vorgänge im Körper herum. Und doch spiegelt das Medizinstudium in Qamishlo die Paradigmen der Revolution wieder. Eine solche Ausbildung ist ebenso Säule der Selbstverteidigung der Revolution: die kollektive Aneignung des Wissens über Gesundheit, ökologisches Bewusstsein, gegenseitige Unterstützung und Freiheit ist immer widerständig gegen ein kommerzialisiertes System von Pharmaindustrie und Effizienz. Die Ausbildung selbst setzt sich zusammen aus vier Jahren Bildung in der Akademie, drei Praxisjahren außerhalb und zwei bis drei Jahren Spezialisierung in der Akademie. Wie genau die Spezialisierung dann aussehe, sei noch im Prozess, da es die Gesundheitsakademie erst seit zwei Jahren gebe und einiges noch nicht erprobt sei, erzählt uns der Freund. Und auch wenn gewisse Methoden schließlich erprobt sind, sind sie nicht statisch. Die Freundin Susan erzählt uns, die Menschen aus den Dörfern hätten früher Angst vor dem Arzt gehabt, weil er nur schlechte Nachrichten gebracht habe. „Wir verbringen eine schöne Zeit mit den Leuten, die Stimmung ist gut. Wenn sie mit dem Arzt eine schöne Zeit verbinden, dann können die Menschen heilen.“ Genauso wie die Revolution an sich, ist alles als einen Prozess des Probierens, Auswertens und Verbesserns. So arbeiten die Bildungsinstitutionen mit der Methode des Tekmîls (Kritik und Selbstkritik) . Im Tekmîl der Gesundheitsakademie kommen die Vertretungen der Studierendenkommunen und die Lehrenden zusammen und besprechen alle Dinge, die sowohl die Ausbildung als auch das gemeinsame Zusammenleben betreffen. Studierende und Lehrende befinden sich nämlich nicht nur tagsüber in der Akademie, sondern führen ein gemeinsames Leben dort.

…ist nie unbeeinflusst vom Kriegsgeschehen

Wie viele der neuen Bildungseinrichtungen kämpft auch die Akademie gegen die permanente Unsicherheit im Krieg an. Besonders bei den Eltern der Studierenden ist die Angst weit verbreitet, eine solch intensive Ausbildung könne mit dem Angriff auf die Selbstverwaltung ihre Gültigkeit verlieren. Syrisches Regime, Dschihadist*innen und internationale Kräfte bleiben immer präsent. Wie sich die Zukunft für die Studierenden in den nächsten Jahren gestalten wird, ist keinesfalls sicher. Die meisten Staaten und Universitäten weltweit erkennen die Ausbildung in Qamishlo nicht an. Immer wieder wird uns davon erzählt, dass Familien auch deshalb ihre Kinder noch in Schulen des Regimes schickten, auch wenn die Ausbildung dort viel schlechter sei. Dass das Diplom einer Krankenschwester, die hier gelernt habe, in den Niederlanden sogar akzeptiert worden sei, allerdings erst als sie die gelernten Fächer und Anzahl an Unterrichtsstunden vorgezeigt habe, wird hier von Vielen erzählt. Denn es ist eine Ausnahme. Wirtschaftsembargo und Flucht vor Krieg machen sich überall bemerkbar. Es fehlen weiterhin die Mittel um die Ausbildung den Ansprüchen gerecht gestalten zu können. So könne man als zukünftige Chirurgin selten Operationen üben, klagt eine Studentin. Dennoch schafft es die Akademie mit den gegeben Mitteln zu arbeiten und eine Vielzahl an Wissen zu vermitteln. Die Studierenden geben das Erlernte weiter und tragen dadurch in der Gesellschaft zu einem Bewusstsein über Gesundheit, den Körper, eine gesunde Lebensweise und Heilung bei. Sie geben Seminare an Universitäten und vor allem in Dörfern. Die Bildungen handeln von Brust- und Unterleibskrebs, Geburt oder dem Anwenden von Heilpflanzen. Wissen aus Schuldmedizin und Naturheilkunde wird zusammen gedacht.

Momentan gibt es Gesundheitsakademien dieser Art in Qamishlo und Serekaniyê. In Kobanê studieren ausschließlich Frauen. Auch im Shengal und dem irakischen Autonomiegebiet werden Akademien geplant. Die Kontakte nach außen machen es möglich, dass auch über Grenzen hinweg gelernt und geheilt werden kann – sowohl medizinisch als auch revolutionär.

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