Widerstandsmuseum in Kobanê

19.12.2018

Wir fahren in ein Stadtviertel Kobanês, das von den Zeichen des Krieges und der fast völligen Zerstörung noch stark gekennzeichnet ist. Dieser Teil der Stadt ist eine lebendige Erinnerung an den Widerstandskampf gegen die brutalen Angriffe von Daesh zwischen 2014 und 2015, als Kobanê von YPG/YPJ-Einheiten befreit wurde. Damit der Kampf der YPG und YPJ nicht vergessen wird, wurde beschlossen circa 10% der Stadt zu einem sogenannten Freiluftmuseum zu machen. Deshalb wurde ein Teil der Stadt als Museum in seinem zerstörten Zustand belassen und nicht wieder aufgebaut.

Dies ist schon von weitem sichtbar. Das erste hohe Gebäude, das uns ins Auge fällt, ist komplett freigelegt. Die Außenfassade ist nicht mehr vorhanden und man kann nur noch den Rohbau mit seinen einzelnen Etagen erkennen. Dieses Gebäude wurde nach einer Gruppe aus Haleb (Aleppo) benannt, deren städtische Kriegserfahrungen für den Kampf in Kobanê sehr wichtig waren. Sie waren es, die damals die Stellungen der Freund*innen ausbauten. Daran erinnern auch noch einige Metallfässer, die vorne am Rand einer Etage des Hauses stehen und die den Freund*innen der YPG und YPJ damals zum Schutz dienten.

Wir laufen weiter und kommen an den Überresten eines Autos vorbei, das in die Luft gesprengt wurde. Auch schwere Kriegsgeräte sind als Mahnmal stehengelassen worden. Uns wird erzählt, dass damit Daesh-Kämpfer wahllos in die Stadt schossen, um die Menschen einzuschüchtern und zu verängstigen.

Wir laufen durch die Trümmer, die zum Teil nur noch erahnen lassen, dass hier einmal Häuser standen in denen Menschen lebten. Eingestürzte Dächer, halbe Häuserwände, verrostete Metallteile und Treppen, Schutt und Steine überall wo man hinblickt. Die Straßen und Häuser sind gefüllt mit Geschichten gefallener Kämpfer*innen, dem Leid der Bevölkerung, der Grausamkeit von Daesh, aber auch der Widerständigkeit der Menschen hier. Unsere Gedanken kreisen um das Erlebte, dass uns der Freund erzählt. Von hier und dort hören wir laute Pfiffe, Hundegebell und Rufe. Zwischen den Trümmern leben nun auch wieder Familien und Kinder spielen auf den eingestürzten Dächern oder rennen umher.

Neben dem Mahnmal ist das Museum gleichzeitig auch als eine Botschaft der Hoffnung zu verstehen, denn dank der Entschlossenheit und des Widerstandes der Selbstverteidigungseinheiten konnte die Stadt befreit werden.

Der Krieg um Kobanê war sehr schwer und viele Freund*innen fielen im Kampf gegen Daesh. Die Stadt war damals komplett umzingelt. Auf der einen Seite durch die Türkei, die Daesh mit Waffen aushalfen und über die Grenze Daesh Kämpfer passieren ließen. Von der anderen durch Daesh, die den Rest der Stadt einkesselten. Die Orte, die wir sehen, sind alle gefüllt mit Geschichten von Gefallenen. Zu einer Stelle wird uns erzählt, dass sich Daesh Kämpfer hier zwischen den Freund*innen in die Luft sprengten. Es gab eine große Anzahl Verletzter, die darauf warteten über die türkische Grenze zu kommen. Diese wurde allerdings nicht geöffnet und viele starben dadurch an ihren Verletzungen.

Im Laufe der Operation hatte fast die gesamte Bevölkerung Kobanê verlassen. Die Stadt war wie leergefegt, erzählt uns der Freund. Es war mitten im Winter, sehr kalt und matschig, es gab nichts mehr zum Heizen. Strom und Wasser waren abgestellt, es war dunkel und es gab kaum Essen. Zum Ende hin gab es nur noch wenige, einige dutzende, Freund*innen der YPG und YPJ, die unter schwersten Bedingungen Widerstand leisteten. In jeder Stellung waren nur noch zwei oder drei Personen.

Vor uns sperren ein paar Steine den Weg hab. Hier darf niemand durchgehen, weil das Gebäude direkt vor uns einsturzgefährdet ist. Das fast zerfallene Haus wurde nach Şehîd Destîna benannt. Hier sind 14 Freund*innen gefallen. An dem Tag war es regnerisch und nebelig, die Sichtverhältnisse waren sehr schlecht. Unter dem Haus war ein mit Minen beladenes Auto, dass Daesh per Fernkommando in die Luft sprengte. Auch das zerfallene Gebäude daneben erzählt eine Geschichte des Widerstands. Hier wurde nach der Befreiung Kobanês eine gefallene Freundin gefunden, die ihre Kalaschnikow noch fest in ihrem ausgestreckten Arm hielt. Sie ist zum Symbol für die Willenstärke der Freund*innen geworden, die bis zum Schluss kämpften.

Wenn es um Widerstand geht, kommt auch immer der Name von Şehîd Karker auf. Er war mit zuständig für die Räumung von Minen und nicht explodierten Bomben in der weitgehend zerstörten Stadt und arbeitete mit am Museum. Im Juni 2015 kam es zu einem erneuten Angriff durch Daesh. Dabei gelangten Daesh Kämpfer über die türkische Grenze, durch eine List, in die Stadt und ermordeten circa 300 Zivilisten, darunter auch Heval Karker.

Der Freund führt uns weiter zu zwei Glaskästen. Hier wurden nach der Befreiung nur noch die Haare von zwei Freundinnen gefunden.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite werden wir von einem vorbeigehenden Stadtbewohner angesprochen. Er erzählt von seinem Sohn, der ebenfalls bei den Kämpfen gefallen ist. Je mehr wir mit Menschen ins Gespräch kommen, desto mehr merken wir, dass die Stadt Kobanê voll ist mit Geschichten über den Krieg und die Besatzung, aber auch über den Widerstand.

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