Jineolojî Fakultät in Qamishlo

02.02.2019

Jineoloji ist eine neue Form der Wissenschaft aus der Perspektive der Frau. Sie wurde von der kurdischen Frauenbewegung ins Leben gerufen. Das Wort setzt sich zusammen aus dem kurdischen Wort Jin (Frau) und dem griechichen Wort logos (Wissenschaft oder Kunde). Es geht darum Wissen nicht nur als reine Theorie zu verstehen und in einem Elfenbeinturm zu bewahren, sondern zu vergesellschaften. Laut der Jineoloji ist Wissen die praktische Erfahrung, die im Leben und in den Kämpfen der Menschheitsgeschichte gesammelt wurde. Jineoloji ist die Suche nach Lösungen und Auswegen für gesellschaftliche Probleme und Herrschaft. Das Wissen soll für den Aufbau eines freien Lebens und die Befreiung der Frau genutzt werden.

In Qamishlo haben wir die Jineolojî*-Fakultät der Universität besucht. Als wir das Gebäude betreten, kommen uns kleine Wasserfälle auf der Treppe entgegen. Heute ist Putztag. Ein Mal in der Woche putzt die ganze Fakultät gemeinsam das Gebäude.

Wir lernen die jungen Lehrenden kennen, die teilweise bis vor einem Jahr noch selbst Studentinnen waren und nun auch in der Verwaltung sitzen. Generell lassen sich nur schwer Parallelen zu dem uns bekannten Uni-Alltag ziehen. Das fängt schon bei den Lehrinhalten an: Demokratische Nation, Veränderung des Mannes, freies partnerschaftliches Leben, Frauenbefreiungsideologie, Selbstverteidigung, Naturmedizin, aber auch Physiologie, IT, Geschichte, Englisch und Soziologie.

Jeder Unterricht endet mit einem Tekmîl, also Kritik und Selbstkritik, um sich in den Lehrmethoden weiter zu entwickeln. Tests oder Klausuren gibt es auch nicht, da die Erfahrungen aus dem alten Regime ergaben, dass das Lernen auf einen Termin das Wissen nicht verfestigt. Am Beginn jeden Unterrichts wird der Inhalt aus der letzten Stunde diskutiert. Nur zum Abschluss des Studiums wird eine Arbeit verfasst.

Die Dauer des Studiums ist mittlerweile von 2 Jahren auf 4 Jahre angehoben worden. An der Jineoljî Fakultät studieren zur Zeit 22 Frauen, an der Universität Qamishlo gibt es insgesamt 500 Studierende. Das sind zwar nicht sehr viele, aber die Universität gibt es auch erst seit 2 Jahren und das neue System muss erstmal aufgebaut und vermittelt werden.

Drei Frauen aus dem ersten Semester erzählten uns von den Schwierigkeiten ihre Familien, insbesondere ihre Väter, zu überzeugen, dass sie studieren können. Unverständnis darüber, warum Frauen studieren sollten und nicht der Familie zu Hause helfen sollten, besteht oft weiterhin. Doch viele Frauen hier sehen in der Jineolojî eine Perspektive die konservative und patriarchale Mentalität zu verändern. Nach 2 Monaten Studium sagt uns Heval Zeynep “Hier habe ich eine Stimme bekommen, um mich zu verteidigen. Wenn mich jetzt jemand fragt warum ich studiere, kann ich antworten”.

Die Universität besuchen Menschen aus ganz Rojava. Im Kanton Cizîrê fahren täglich Busse, die die Student*innen einsammeln. Studierende aus weiter entfernten Städten haben die Möglichkeit in Wohnungen in Qamishlo zu übernachten. Ein Semester geht drei einhalb Monate, danach sind zwei Wochen frei. Wenn es Demonstrationen gibt, fällt der Unterricht aus.

Wie in allen Einrichtungen in Rojava wird auch hier das Prinzip des Ko-Vorsitzes umgesetzt und neben einer allgemeinen Verwaltungsstruktur gibt es auch die autonome Frauenverwaltung.

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