Beim Frauenfernsehsender Jin-TV

18.02.2019

In Amude besuchen wir den Frauenfernsehsender Jin TV. Als wir ankommen, erwartet uns ein großes Gebäudekomplex und wir staunen nicht schlecht, was hinter der Fassade steckt. Eine riesige Halle, die mit Hilfe von Containern in mehrere wohnlich eingerichtete Räume aufgeteilt wurde. Das Gebäude stellt sich als eine ehemalige Zuckerlagerhalle heraus und ist noch nicht vollständig ausgebaut. Innen fehlt noch das große Fernsehstudio, an welchem aktuell gebaut wird. Montageraum, mehrere Arbeitsräume, Kantine und Besucherzimmer sind hingegen fertig.
Mehrere Stunden lang sitzen wir mit Heval Gulistan, Heval Mediya und anderen jungen Frauen zusammen und sprechen über ihre Erfahrungen beim Fernsehen, über die Frauenrevolution und eine Ästhetik der Frauenbefreiung, die es im Kampf gegen das Patriarchat zu erschaffen gilt. Drumherum ist viel los, viel zu tun. Ein Team von Frauen fährt für eine Reportage zu einer Kundgebung, ein anderes zum Kongress der Schriftsteller*innen und Intellektuellen in Qamişlo. Andere Frauen sind mit der Montage beschäftigt oder machen Absprachen per Telefon.
Zu Beginn war Jin TV „nur“ eine Idee, innerhalb eines Jahres jedoch wurden alle Vorbereitungen getroffen. Am 8. März 2018 konnte die erste Testlaufphase starten, in der zunächst ein paar Stunden täglich gesendet wurde. Am 3. Juni 2018 war es dann soweit und Jin TV wurde offiziell eröffnet.

Bei unserem Besuch treffen wir viele jungen Frauen, die uns von ihrem Alltag bei Jin TV erzählen. Morgens sitzen sie alle zusammen, planen die Arbeiten und das Programm. Anschließend gehen sie in ihre Arbeitsbereiche. In regelmäßigen Abständen gibt es größere Versammlungen, bei denen die gemeinsamen Arbeiten reflektiert und bewertet werden. Jede kann ihre Ideen einbringen, indem sie beispielsweise ein Konzept vorbereitet und vorstellt. Finden alle den Vorschlag gut, wird er gemeinsam durchgeführt. Jede Frau hat einen bestimmten Arbeitsbereich, es ist jedoch eine wichtige Grundlage bei Jin TV, dass alle Frauen alle Bereiche kennen lernen: Sprecherin sein, Filmen, Tontechnik, Montage, Senden und so weiter. Wer neu zu Jin TV kommt lernt alle diese Dinge, damit jede einen guten Überblick über die Arbeiten hat und sich selbst weiterentwickeln kann. Außerdem kann so theoretisch jede einspringen, falls eine mal ausfallen sollte. Das ist dringend notwendig, denn bisher arbeiten nur 16 Frauen bei Jin TV. Ganz schön wenige, für so viel Arbeit. Doch trotzdem schaffen sie es einen eigenen Fernsehsender zu stämmen. „Ich bin seit einem Jahr und ein paar Monaten hier“, sagt Hevala Mediya, die in der Montage arbeitet. Die Familie ihres Vaters hatte ihr lange nicht erlaubt das Haus zu verlassen. Nach vielen Diskussionen konnte sie durchsetzen, in eine Bildung für Medienarbeit zu gehen. Dort konnte sie einen Monat lang lernen und gleichzeitig mit anderen jungen Frauen zusammenleben. Später hatte sie vorgeschlagen, zu Jin TV zu gehen. Erst als ihre Familie zur offiziellen Eröffnung des Fernsehens kam und sich selbst ein Bild machen konnte, haben sie begonnen Mediyas Weg zu akzeptieren.

Bei Jin TV arbeiten ausschließlich Frauen. Frauen, die schon länger bei Jin Tv arbeiten und bereits viel gelernt haben, bilden die Frauen aus, die neu dazu kommen. Aufgrund der damaligen schlechten Bildungsmöglichkeiten für Frauen waren ab und zu auch Männer da, die die Ausbildung im technischen Bereich unterstützt haben, bis die Frauen alle diese Bereiche übernehmen konnten. Zur Ausbildung gehört nicht nur der technische Bereich. Auch die ideologische Bildung ist grundlegend. Die Basis sind die Frauen. Sie treffen alle Entscheidungen, gestalten die Programme, machen die Korrekturen. Presse sei normalerweise von der Sprache dominanter Männlichkeit beeinflusst, erzählt uns Hevala Gulistan, die Jin TV mit aufgebaut hat. Hier soll ein Fernsehen geschaffen werden, welches Frauen inspiriert und sich jeglichen unterdrückerischen Mentalitäten entgegenstellt. Das Fernsehen hat einen ganz klaren Fokus auf die Frauenbefreiung. Zum einen soll die Geschichte der Frauen und der dazugehörige Widerstand sichtbar gemacht werden. Unser gemeinsames Erbe wird so weitergetragen. Zudem werden die heutigen Frauenkämpfe weltweit gezeigt, dadurch wird eine Verbundenheit zwischen ihnen geschaffen. Jin TV ist dafür da, die Stimmen und die Sprachen der Frauen lebendig zu machen. Es soll die Gesellschaft mit einer neuen Ästhetik prägen. Das bedeutet, das konventionelle Schönheitsbild über Bord zu werfen um ein neues Verständnis von Schönheit und Freiheit zu etablieren. Dieses Verständnis von Schönheit bedeutet, die Schönheit darin zu sehen, sich zu befreien, sich nicht dem Mann unterzuordnen, sich selbst zu finden und zu werden, außerhalb von Kategorien zu denken und im Einklang mit seinem Umfeld zu sein. „Wir wollen aber auch, dass Männer sich Jin TV angucken,“ erklärt uns Hevala Gulistan. Es gehe darum eine gesamtgesellschaftliche Veränderung zu schaffen und das Problem bei der Wurzel zu packen.
Wichtig dabei ist es, dass alle Verschiedenheiten und Facetten beinhaltet sind, dabei aber immer die Linie der Frauenbefreiung sichtbar wird. In Jin TV gibt es Frauennachrichten, Programme über die Geschichte von Frauenkämpfen, Jineolojî, Ökologie und Naturheilkunde und vieles andere. Auch werden Frauen auf der Straße befragt. „Wir stehen bisher noch ganz am Anfang, unsere Wege und Methoden sind teilweise noch zu eng, sodass wir reicher und weiter denken müssen,“ sagt Hevala Gulistan.

Jin Tv gibt es nicht nur in Rojava. Auch in den arabischen Gebieten, in Bakur, Başur und Europa gibt es Teams von Jin TV. Weiterhin ist geplant auch in Rojhilat und weiteren arabischen Städten mit Frauen zusammen zu arbeiten. Hevala Gulistan betont bei unserem Gespräch sehr häufig, wie wichtig Internationalismus ist. Jin Tv soll nicht ein kurdisches Frauenfernsehen sein, sondern eines, welches eine Ausstrahlungskraft auf der ganzen Welt hat. Der Wunsch ist, dass allerorten Frauenpresse entsteht und diese sich zusammenschließen kann. Der Fokus liegt noch ganz klar auf dem mittleren Osten, soll aber aufgrund dessen weiter ausgeweitet werden. Deshalb freuen sie sich über jede Frau, auch aus anderen Regionen der Welt, die anfängt bei Jin TV zu arbeiten.

Allerdings bleibt auch Jin Tv von der Repression nicht verschont. In Bakur gibt es inzwischen drei Verfahren gegen Mitarbeiterinnen. In Başur werden sie angedroht. Des weiteren gibt es bekanntlicherweise auch in Europa immer wieder Probleme mit dem Repressionsaparat. Das zeigt wiedereinmal, dass der Staat verhindern will, dass Frauen sich zusammentun und sich organisieren.
In der Türkei wurde nun beispielsweise ein Frauenfernsehen eröffnet, welches als ein Gegenprojekt zu Jin TV gesehen werden muss. Die Leitung besteht aus Männern. In Modesendungen, Hochzeitsreportagen und Musikshows geht es hauptsächlich darum, traditionelle Frauenbilder aufrecht zu erhalten. Die Unterdrückung der Frauen wird so nur noch vertieft. Ein weiteres Mal nutzen kapitalistische und imperialistische Systeme ähnliche Kanäle wie die Widerstandskämpfe, um diese zu untergraben und ihnen die Kraft zu nehmen. Stattdessen wird versucht Frauen für ein herrschendes System zu gewinnen, gegeneinander auszuspielen und damit zu instrumentalisieren.
„Natürlich freuen wir uns über jede Frauenpresse die entsteht, allerdings ist die Frage mit welchem Ziel das passiert,“ so Hevala Gulistan. „Wir pieksen Löcher ins Patriarchat, bis es in sich zusammenfällt,“ sagt sie mit einem Schmunzeln. Es geht darum Widerstand zu leisten, Frauenkämpfe sichtbar zu machen und zu verbinden. Es geht darum, als Teil unserer gemeinsamen Kämpfe eine Sprache und Ästhetik des freien gesellschaftlichen Zusammenlebens zu entwickeln. Das ist auch der offene Aufruf an uns alle, mit den Frauen von Jin TV in Europa in Kontakt zu treten, uns mit eigenen Beiträgen, Videos und Ideen an diesem gemeinsamen Projekt zu beteiligen.

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