01.12.2020
Aus der jüngeren Geschichte der Menschheit wissen wir, dass nichts in der Menschheitsgeschichte zu mehr Katastrophen geführt hat als diktatorische Regime. Wie wir vom Völkermord an den Armenier*innen, dem Holocaust, von den kolonialen Völkermorden der Siedler gegen indigene Völker in Amerika sowie von den vielen Massakern in Regionen wie dem Nahen Osten, einschließlich Kurdistans, wissen, hatte die Menschheit mit allen möglichen Arten von Völkermorden zu kämpfen, insbesondere in den letzten zwei Jahrhunderten.
Gemäss der Definition der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes bedeutet Völkermord “eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: Tötung von Mitgliedern der Gruppe; Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe”. Die weithin akzeptierte Definition von Diktatur beschreibt die Monopolisierung/Konzentration von Macht in den Händen eines Herrschers, um sich selbst als oberster Führer zu behaupten.
Diese Definitionen nach internationalen Rechtsnormen geben uns genug Grund zu der Auffassung, bei Erdoğan handele es sich um einen Diktator, der für seine Verbrechen strafrechtlich verfolgt werden sollte. Der Diktator, der als Präsident der Türkei agiert, hat eine patriarchale, faschistische und rassistische Mentalität, die sich bewusst, geplant und gezielt gegen kurdische Frauen richtet. In den 18 Jahren der AKP-Herrschaft ist Erdoğan zum Hauptverantwortlichen hinter einem System des bewussten Massakers, Tötens und Vergewaltigens von Frauen geworden.
Am 29. Oktober 2009 wurde die 12-jährige Ceylan von einer Haubitze der türkischen Armee getötet, als sie Schafe weidete. Am 9. Januar 2013 wurden Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez in Paris durch den türkischen Geheimdienst ermordet. Kader Ortakaya wurde im November 2014 in den Kopf geschossen, als sie während der Belagerung des sog. Islamischen Staats (IS) versuchte, nach Kobane zu gelangen. Die junge Aktivistin Dilek Doğan wurde am 18. Oktober 2015 in ihrem Haus von der Polizei ermordet. Im Dezember 2015 wurde der Leichnam von Taybet Inan, einer von den türkischen Streitkräften getöteten Zivilistin, während der Ausgangssperre in Silopi bis zur Verwesung auf der Straße liegen gelassen. Am 4. Januar wurden die kurdischen Frauenaktivistinnen Seve Demir, Pakize Nayır und Fatma Uyar durch das Feuer der Armee in Silopi unter der Militärbelagerung massakriert. Am 12. Oktober 2019 wurde die kurdische Frauenaktivistin und Politikerin Hevrin Xelef bei der Besatzungs-Operation “Friedensquelle” des türkischen Staates in Serê Kaniye (Ras al-Ain) in Nordsyrien von türkisch unterstützten islamistischen Kräften ermordet. Im Juni 2020 wurden drei kurdische Aktivistinnen des Frauen-Dachverbands Kongreya Star bei einem türkischen Drohnenangriff auf ein Haus im nordsyrischen Dorf Helince bei Kobanê ermordet. Es gibt unzählige weitere Beispiele.
Gewalt gegen Frauen hat in der Türkei um mehr als tausend Prozent zugenommen. Vergewaltigungen werden zunehmend normalisiert. Frauen werden systematisch von der politischen Sphäre ausgeschlossen (einschließlich ihrer Inhaftierung). Daneben werden die akademische, künstlerische und berufliche Arbeit von Frauen kriminalisiert.
Weil wir jeden Tag mit einem neuen Massaker konfrontiert sind bleiben unsere Erinnerung und unsere Wut lebendig. Wir haben die Macht, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Dafür haben wir genügend Gründe und Beweise. Wir haben auch genügend Bewusstsein und die erforderlichen Grundlagen, um zu wissen, dass all dies Kriegsverbrechen sind.
Als kurdische Frauenbewegung haben wir durch Kampagnen, Aktionen und Widerstand gegen den Feminizid in unserem Land gekämpft. Mit unserer Kampagne “100 Gründe, den Diktator zu verurteilen” werden wir gegen den Hauptverantwortlichen für diese Verbrechen, Recep Tayyip Erdoğan, aufstehen. Ohne Zweifel hat Erdoğan in seinen 18 Jahren an der Macht nicht nur 100, sondern Hunderte von Verbrechen begangen. Als Frauen haben wir jedoch beschlossen, uns auf die abscheulichen Verbrechen zu konzentrieren, ohne deren Aufarbeitung unser Gewissen keinen Friedenfinden kann.
Wir werden keinen Satz formulieren wie “Die Zahl der Vorfälle und Todesfälle ist unmöglich zu zählen”. Als Frauen verurteilen wir diese Verbrechen nicht nur mit Hilfe der von uns gesammelten Beweise. Wir verurteilen sie auch mit unserer Form, unserem Bewusstsein, unserer Haltung und unseren Forderungen. Wir wollen nicht, dass Erdoğan wie andere ist, die immer als “Staatsführer” betrachtet wurden und erst nachdem ihre Kriegsverbrechen aufgedeckt wurden oder sie gestorben sind, als “Diktatoren” gesehen wurden. Wir wollen, dass er jetzt strafrechtlich verfolgt wird. Unsere Liste der Verbrechen Erdoğans ist lang genug, und wir wollen nicht, dass sie noch länger wird.
Als Kurdische Frauenbewegung in Europa (TJK-E) wollen wir aus 100 Gründen 100.000 Unterschriften sammeln, um uns gegen den Diktator und seine Handlanger zu wenden, die das Gesetz, das Militär und die Polizei für Gewalt und Ungerechtigkeit einsetzen.
In der ersten Phase unserer Kampagne, in den 104 Tagen, die zwischen dem 25. November 2020 und dem 8. März 2021 vergehen, werden wir jeden Tag einen weiteren “Grund” nennen, indem wir die Geschichten von Frauen erzählen, die vom Staat ermordet wurden. Gegen den Diktator, dem es gelingt, jeden Tag neue Massaker zu begehen, werden wir Ihnen von den Frauen erzählen, die ermordet wurden. Wir wollen, dass sie für immer in die Seiten der Geschichtsbücher und in das Gedächtnis der Menschheit eingehen.
Die Unterschriften, die wir sammeln werden, sind der erste Schritt zur Schaffung der Grundlage für die rechtlichen, sozialen, politischen und aktionsbasierten Arbeiten, die wir in unserem Bestreben, den Diktator strafrechtlich zu verfolgen, durchführen werden. In der zweiten Phase werden wir unsere Unterschriften und die Vorfälle, die wir dokumentiert haben, sowie alle von uns gesammelten Beweise an die UNO und andere relevante Institutionen weiterleiten, um den Beginn des Anerkennungsprozesses von Feminizid als ein dem Völkermord ähnliches Verbrechen zu fordern. Das Versagen der UNO, das Notwendige zu tun, ermutigt Diktatoren wie Erdoğan, die die institutionalisierte Form der patriarchalen Mentalität repräsentieren.
Jede Unterschrift, die wir sammeln, bringt uns der Verurteilung des Diktators einen Schritt näher, während jede Stimme, die wir in Aktion erheben, den Raum, der den Diktatoren zur Verfügung steht, einengen wird.
Sie können Ihre Kraft mit unserer Kraft, Ihre Stimme mit unserer Stimme vereinen, um den Diktator aus unserem Leben zu entfernen, indem Sie an dieser Kampagne unter www.100-reasons.org teilnehmen.
100.000 Unterschriften aus 100 Gründen
Erdoğan und die AKP sollten für ihre feminizidale Politik verantwortlich gemacht werden!
Einst versprach die AKP, die Türkei entscheidend zu demokratisieren, rechtsstaatliche Normen durchzusetzen, innenpolitische Fragen wie die kurdische Frage mit politischen Mitteln zu lösen, ein pluralistisches, demokratisches parlamentarisches System aufzubauen, in dem es keinerlei Toleranz gegenüber Folter und keinerlei Probleme mit den Nachbarländern gibt. Jahrelang weckten diese Versprechen Erwartungen an die Erfüllung drängender Forderungen der Gesellschaft nach Veränderungen. Zu den Versprechen gehörte auch der Kampf gegen Sexismus und für die Gleichstellung der Geschlechter.
Doch in den 18 Jahren der AKP-Herrschaft hat die Türkei diese Versprechen nicht nur nicht erfüllt, sondern in noch nie dagewesener Weise Schritte zurück in die Vergangenheit gemacht.
Gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner, der ultranationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), errichtete die Regierung eine faschistisch-diktatorische Ein-Mann-Herrschaft, eroberte die Kontrolle über alle Staatsorgane, beseitigte die Freiheit des Denkens und der Meinungsäußerung, verwandelte das Justizsystem in das größte Vehikel für Ungerechtigkeit und löste die Gewaltenteilung auf.
Die Regierung von Erdoğan setzt alle Ressourcen des Staates rücksichtslos gegen diejenigen ein, die sich ihrer Herrschaft widersetzen. Sie versucht, jegliche Opposition durch Tötung, Inhaftierung, Folter, Zwangsumsiedlung und Enteignung auszuschalten. Die Menschen werden durch Kündigungsandrohungen, Einschüchterung und Erpressung weiter zum Schweigen gebracht.
Innenpolitisch hat die Regierung Erdoğan das Land in ein offenes Gefängnis verwandelt, in ein Regime der Angst mit diktatorischen Methoden. Parallel dazu hat der Staat in seiner Außenpolitik mehr denn je auf Aggression und Erpressung zurückgegriffen. Obwohl die Regierung “null Probleme mit den Nachbarn” versprochen hatte, hat das Land nun Probleme mit fast allen Menschen in der Region und darüber hinaus. In ihrem Streben nach regionaler Hegemonie auf der Grundlage neo-osmanischer Träume führt die AKP Kriege in Syrien, Irak und Libyen. Sie setzt den IS und ähnliche islamistische Gruppen häufig als Söldner zur Besatzung ein. Im Rahmen ihrer Außenpolitik setzt sie regelmäßig Erpressung ein, um ihren Willen durchzusetzen (ein Beispiel dafür ist das sogenannte Flüchtlingsabkommen mit der EU). Zu diesem Zeitpunkt stellt die Türkei unter der AKP eine Bedrohung und Gefahr für die gesamte Region dar. Wir sind uns dieser Entwicklungen in dem Maße bewusst, wie über sie in der Presse berichtet wird. Es gibt jedoch noch einen anderen bedrohlichen Krieg, der von der AKP geführt wird, über den in den Medien jedoch praktisch nicht berichtet wird und der auf der internationalen Agenda fehlt: ein feminizidaler Krieg gegen Frauen!
Die AKP und ihre Frauenpolitik
Mit dem zunehmend aggressiven Charakter der Innen- und Außenpolitik de Regierung Erdoğan nahm auch die feminizidale Politik zu. Mit ihrer feminizidalen Politik betreibt die AKP auch eine “gesellschaftsmörderische” Politik. Der Faschismus als das am tiefsten patriarchale System kann seine Existenz nur durch die Vertiefung des kolonialisierten Zustandes der Frauen fortsetzen. Die Türkei ist das Land mit den meisten weiblichen politischen Gefangenen. Unter der AKP-Regierung hat die Gewalt gegen Frauen um 1400% zugenommen. Die Explosion von Femiziden und Gewalt gegen Frauen ist kein Zufall und auch nicht losgelöst von der staatlichen Politik. In Gebieten, die unter türkischer Besatzung stehen, werden Frauen entführt, vergewaltigt, verkauft und massakriert. Es ist ein schwerer Angriff auf die Willenskraft und die Fähigkeit der Frauen, über ihr eigenes Leben zu entscheiden. Frauen werden objektiviert und in traditionelle Geschlechterrollen gedrängt. Frauen stehen ständig im Würgegriff des Staates und der von ihm reproduzierten patriarchalen Gesellschaft.
Wie überall auf der Welt stellen Frauen auch in der Türkei eine wichtige oppositionelle Dynamik dar. Die kurdische Frauenbewegung steht an vorderster Front eines ernsthaften Erwachens der Frauen. Es ist kein Zufall, dass Erdoğans feminizidale Politik mit jedem Tag, an dem dieses Erwachen wächst, zunimmt. Mit dem Feminizid versucht der Staat die Opposition und damit jede mögliche Veränderungskraft zu beseitigen. Das Ziel ist es, die Gesellschaft als Geisel zu nehmen.
Die Tatsache, dass Feminizid immer noch nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt ist, bedeutet, dass Staaten und Diktatoren, die auf Feminizid setzen, keine Angst davor haben, zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Solange Feminizid nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit behandelt wird, wird es nicht möglich sein, einen glaubwürdigen und effizienten Kampf gegen gesellschaftsfeindliche Politiken wie den Völkermord zu führen.
Mit dieser Kampagne wollen wir die feminizidale Politik der AKP
aufdecken und die Aufmerksamkeit auf sie lenken. Wir wollen
Gerechtigkeit schaffen und fordern die strafrechtliche Verfolgung von Erdoğan. Mit dieser Anstrengung wollen wir die Stimme aller Frauen in der Welt sein, die Gewalt ausgesetzt sind, und auf alle an Frauen begangenen staatlichen Verbrechen aufmerksam machen.
Wir wollen die Gewalt gegen Frauen beenden, die in der türkischen Republik in einem feminizidalen Ausmaß begangen wird, wo jeden Tag eine Frau durch männliche Gewalt getötet wird.
Mit dieser Kampagne wollen wir, dass Feminizid international als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt wird. Unterstützen Sie unsere Forderungen mit Ihrer Unterschrift. Kein Fußbreit dem Feminizid!