Panelbeitrag auf der II. Internationalen Konferenz des Netzwerks Women Weaving the Future

Auf der II. Internationalen Konferenz des Network „Women Weaving the Future“ kamen 700 Frauen aus der ganzen Welt zusammen. In dem letzten Panel mit dem Titel „Unseren Weg finden – Jin, Jiyan, Azadi: Warum eine internationale Frauenorganisation? Was ist der Vorschlag für einen demokratischen Weltkonföderalismus der Frauen?“ gab es einen Beitrag von Gemeinsam Kämpfen, den wir hier veröffentlichen.

„Gemeinsam Kämpfen“ ist am 25. November 2017 als „feministische Kampagne für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“ gegründet worden.

Das Ziel der Kampagne war es, die Ideen der Revolution der selbstverwalteten Region Nord- und Ostsyriens in Deutschland bekannter zu machen und sie auch für hier zu denken.

Diese Entscheidung ist Ergebnis langer und intensiver Diskussionen und auch ideologischer Auseinandersetzung auf Bildungen gewesen: Bildungen, die wir auch damals schon gemeinsam mit der kurdischen Frauenbewegung organisiert und gestaltet haben.
Unser Schwerpunkt war dabei vor allem auf einer internationalistischen Verbindung mit der Frauenbewegung, einer Verbindung der klaren Solidarität, die für uns auch bedeutet hat, eine Zukunftsperspektive für unsere Geographie hier zu denken.

Ein Ziel der Kampagne war es aber auch über die autonome Organisierung von Frauen und Menschen weiterer unterdrückter Geschlechter zu diskutieren und ihre Relevanz deutlich zu machen.

Wir wollten uns aktiv organisieren.

Ende 2020 konnten wir sagen, dass wir nun über eine Kampagne hinaus gewachsen waren und haben uns daher in „Gemeinsam Kämpfen – feministische Organisierung für Demokratische Autonomie und Selbstbestimmung“ umbenannt.

Wir wollen hier in Deutschland eine breite Organisierung von Frauen und Menschen aller weiteren unterdrückten Geschlechter aufbauen, in Verbindung mit feministischen Kämpfen weltweit.

Basisdemokratie, Autonomie und Selbstbestimmung sind für uns keine Utopien, sondern konkrete emanzipatorische Konzepte und Ziele, die wir in unseren Gesellschaften erreichen wollen, auch wenn wir natürlich anerkennen, dass wir gerade hier im Herzen der Bestie der kapitalistischen Moderne noch viele Schritte gehen müssen.

Demokratische Autonomie, für die wir einstehen, bedeutet für uns, dass Menschen gleichberechtigt diskutieren und entscheiden, sowie frei und ökologisch zusammenzuleben können.

Dabei sehen wir es als grundlegend, sich als Teil von einem globalen Kampf gegen das kapitalistische Patriarchat zu begreifen und die eigene Rolle und Verantwortung darin zu erkennen.

Natürlich sind es nicht nur wir, die mit den gesellschaftlichen Umbrüchen in Nord- und Ostsyrien Hoffnung für eine antipatriarchale, emanzipatorische Veränderung geschöpft haben.

Beispielsweise gründeten sich mit dem Angriffskrieg auf Nord- und Ostsyrien seit Oktober 2019 zahlreiche Women Defend Rojava Komitees, mit denen wir in großer Verbundenheit zusammenstehen. Auch wir begreifen uns als Teil der Kampagne „Women Defend Rojava“.

Die Verteidigung von Rojava und der gesamten kurdischen Bewegung an allen Orten der Welt sehen wir als zentrale Aufgabe, denn dort wurde eine Alternative zum kapitalistischen Patriarachat geschaffen, die wegweisend für einen revolutionären Kampf ist.

Gleichzeitig sind wir Teil der Initiative Demokratischer Konföderalismus, die ein nächster Schritt der Organisierung aller Geschlechter gemeinsam ist, um den Demokratischen Konföderalismus für die Geografie hier zu denken und zu beginnen ihn umzusetzen.

Viele der Erfahrungen und Erkenntnisse der kurdischen Bewegung und insbesondere der kurdischen Frauenbewegung, die konkreten Begegnungen hier in Deutschland oder auch in den verschiedenen Teilen Kurdistans, haben uns ein reiches und wertvolles, lebendiges Erbe mitgegeben. Auf diesem Erbe wollen wir aufbauen.

Gleichzeitig ist für uns eine wichtige Frage auf welchem Erbe wir hier stehen, welche Widerstände gegen das kapitalistische Patriarchat es in Deutschland von den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gegeben hat und noch gibt. Die Beschäftigung mit unserer eigenen Geschichte ist ein Wert, den wir lernen mussten und die Suche nach Verschollenem und Überbleibseln hat uns schon viele wunderbare, manchmal auch überraschende Momente beschert. Diese geben uns immer wieder Perspektive und Kraft.

Wir sehen es als Aufgabe an, die patriarchale Geschichtsschreibung zu überwinden und unsere eigene Geschichte wieder sichtbar zu machen, denn wer keine Geschichte hat, hat auch keine Zukunft.

Die Fragen auf die wir stoßen ergeben sich aus unserer Realität im Herzen der Bestie zu leben. Unsere Herausforderungen drehen sich viel darum wieder Hoffnung auf die Möglichkeit einer anderen Welt zu erlernen und zu hüten. Zu verstehen was unsere Identitäten sind, wenn wir den deutschen NationalStaat nicht als unsere Identität anerkennen können und wollen.

Das heißt für uns in unserem Kampf hier vor allem auch, dass unsere Praxis viel bedeutet uns selbst und die Menschen um uns herum immer wieder davon zu überzeugen, dass eine andere Welt möglich ist und dass wir eine große und relevante Verantwortung dafür tragen diese Welt zu erschaffen.

Was heißt es für uns wir selbst zu werden und zu sein, unser Land und die Menschen um uns herum zu lieben? Was heißt es all das zu verteidigen?

Wir müssen lernen zu nehmen, ohne zu stehlen.

Zu säen ohne zu zerstören.

Zu hoffen ohne zu romantisieren.

Gemeinsam zu kämpfen ohne die Vielfalt zu verlieren.

Um all dies mit Leben zu füllen, müssen wir unsere Wurzeln kennen, um einen stabilen Stand in den widrigen Winden der momentanen Zeit zu haben und Zweige, Blätter und Blüten in die kommende Zeit zu strecken.

Wir sagen: „Die Gesellschaft ist vielfältig und lebendig. Der Staat homogen und erstickend.“

Es geht also um unsere eigene Geschichte, mit all der Unterdrückung und dem Leid das aus ihr gefolgt ist und noch folgt einerseits und all dem vielfältigen Widerstand andererseits.

Es geht um das Wissen um die Stärken und Mängel, die Fehler und die Errungenschaften, die dazu geführt haben, dass unsere Gesellschaft so ist, wie sie ist.

Wie schaffen wir es also hier bei uns zu verstehen wer und wie unsere Gesellschaft ist und wie wir sie vom Staat auf allen Ebenen trennen?

Wie finden wir den wahren Kern unserer Selbst mit unseren Sprachen, Kulturen, Identitäten, unseren Wurzeln?

Wie können wir die Entzauberung der Welt stoppen und all den Zauber, der in ihr liegt wieder spürbar machen?

Wir müssen uns als Teil der Gesellschaft und die Gesellschaft als Teil der Welt verteidigen, um uns alle gemeinsam auf der Welt verteidigen zu können.

Die Spaltung der Gesellschaften ist eines der ältesten und effektivsten Mittel der Machtergreifung und Erhaltung über die Gesellschaft.

Durch sie kann die Einheit der Gesellschaft in ihrer Unterschiedlichkeit gebrochen, können Gewalt, Ausbeutung und Hierarchien legitimiert werden.

Sexismus, Kolonialismus, Antisemitismus und Klassen, sind organisierte Angriffe auf die Gesellschaften!

In Europa können wir sehen, dass durch die Institutionalisierung nach innen in die Gesellschaft hinein Unterdrückung systematisiert, von der Gesellschaft als nächster Schritt dann verinnerlicht und schließlich gegen „die Anderen“ nach „außen“ gerichtet wurde.

Wir können sehen, wie sich das Patriarchat immer wieder aufs Neue institutionalisiert hat. Insbesondere zur Zeit der Entstehung des Kapitalismus, hat sich die Form von Herrschaft verändert: mit der Hexenverfolgung und der Kolonisierung wurden konkrete Formen geschaffen, welche das Leben ganz konkret bedrohte und heute noch bedroht, Leben vernichtete und auch heute noch vernichtet und gleichzeitig Sexismus und Rassismus tief in den Köpfen der Menschen verankerte, bis sie es selbst begannen fortzuführen.

Doch von Beginn an, gab es gemeinsame Kämpfe gegen diese offene Brutalität.

Auf dieses gemeinsame Erbe wollen wir uns berufen:

auf das Erbe derer, die als Aufständische aus Europa in die ersten Kolonien Nordamerikas deportiert wurden und Seite an Seite mit Indigenen kämpften.

Oder derer, die nach Nordafrika segelten, um Sklavenhänderschiffe zu überfallen und die Menschen zu befreien.

Oder darauf, wie Indigene im Laufe der Jahrhunderte immer wieder nach Europa gereist sind, um die Gesellschaft und die Entstehung des Kapitalismus/Industrialismus zu analysieren, wie geschehen im 16. Jahrhundert und wieder letztes Jahr im Jahre 2021.

Die Zapatistas haben uns durch ihren Besuch einen deutlichen Auftrag mitgegeben. Was seitdem passiert ist, reicht nicht.

Um daran anzuknüpfen, sich dieser Verantwortung wieder bewusst zu werden, den Kampf gegen Unterdrückung als Mentalität aber auch als Herrschaftsform mit konkreten materiellen Auswirkungen zu bekämpfen, müssen wir organisiert sein!

Unsere Überzeugung ist, dass der Demokratische Konföderalismus in der Lage ist, all die wunderbaren und wichtigen Verschiedenheiten der Realitäten weltweit sichtbar zu machen.

Wir alle wissen, dass erst die verwobene, ineinander verflochtene Vielfalt das starke Band knüpfen kann, welches wir für die kommenden Widerstände und den Aufbau einer neuen Welt brauchen werden.

Der Demokratische Konföderalismus ist auch in Deutschland selbst eine Möglichkeit ein bedeutungsvolles Leben aufzubauen, dass es wert ist zu leben.

Ein Leben, welches der Bedeutung des Lebens gerecht wird.

Das heißt wir gehen – wie vermutlich wir alle hier – davon aus, dass wir uns an den Orten organisieren müssen, an denen wir leben.

All diese Orte sind gleichzeitig ein kleiner Teil eines großen Ganzen. Wir finden viele Bilder um deutlich zu machen, warum es nicht reicht, dass wir uns ausschließlich lokal oder global, im Kleinen oder im Gesamten, im Speziellen oder im Universellen organisieren.

Es geht uns darum eine Organisation zu schaffen, die wirkliche Perspektiven aufzeigt, die die kapitalistischen Moderne überwindet, die eine globale Alternative schafft.

Auch hier in Europa gibt es bereits viele Menschen, die sich im Sinne des Paradigmas organisieren: „Azadî Jin“ im spanischen Staat, „Rete Jin“ in Italien oder Freundinnen in England, Wales, Schottland oder der Francophonie.

Als Ergebnis unserer Analysen organisieren wir uns als Gemeinsam Kämpfen anhand von fünf Linien:

1. Wir sagen: Der Frühling ist nicht aufzuhalten und wir werden die Revolution verteidigen!

2. Für uns bedeutet Frieden wieder herzustellen antifaschistisch und antimilitaristisch zu Kämpfen!

3. Wir brauchen ein organisiertes Bewusstsein und werden uns daher bilden und die Frauenbefreiungsideologie umsetzen!

4. Wir werden das Leben am Leben erhalten und daher für eine ökologische Zukunft kämpfen!

5. Das Patriarchat hat viele Gesichter! Unser Widerstand auch! Wir werden gegen Feminizide und patriarchale Gewalt einstehen!

Was uns alle hier vereint, ist, dass wir für das Leben kämpfen. Um Leben zu können, müssen wir den weltweiten Feminizid stoppen – denn auch in Deutschland findet jeden Tag ein Feminizidversuch statt und jeden 2.-3. Tag wird dabei eine Frau umgebracht. Die Gleichgültigkeit sowie das Schweigen diesen Morden gegenüber ist ohrenbetäubend. Wir spüren noch immer die Folgen der Hexenverfolgung, die Misstrauen unter uns gesät hat. Und wieder einmal ist unsere Antwort: unsere eigene Organisierung ist die beste Selbstverteidigung – mit euch allen gemeinsam.


Die Entstehung des Konzeptes des WFK begleiten wir nun auch schon viele Jahre. Freund:innen von uns haben den Vorschlag im Rahmen von Diskussionen mit Frauen in den Bergen Kurdistans 2010/11 diskutiert und wir haben ihn im Buch „Wir wissen was wir wollen – und was wir tun“ in den letzten Jahren verarbeitet und veröffentlicht.

Aber was ist unser eigenes Anliegen im Bezug auf den Weltfrauenkonföderalismus?

Um es in den Worten der kurdischen Freundinnen zu sagen: „Kampf oder besser Bewegung ist Sein, die Ideologie das Bewusstsein und die Organisierungsform bzw. -struktur ist die Form. Bewegungen, die eine Einheit zwischen Sein, Bewusstsein und Form schaffen, können Erfolge gegen das herrschende System erzielen“

Eine solche Perspektive kann und wird der Vorschlag des Weltfrauenkonföderalismus sein. Das beinhaltet auch, dass wir uns als Kämpferinnnen für diese Idee begreifen.

Unabhängig davon, an welchem Ort der Welt wir kämpfen, weil wir für die gemeinsamen Ziele einstehen.

Wir brauchen Organisationen, die Verantwortung in diesem Kampf übernehmen und vorausschauend agieren, bereit sind die sich bietenden Möglichkeiten des revolutionären Kampfes zu füllen.

Eine dieser Organisationen wollen wir werden.

Denn wir alle wissen, dass das Zeitalter in dem wir leben, Antworten von den revolutionären Kräften erfordert.

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